Wo die Mäuse Eier klauen

Wir befinden uns im Oktober des Jahres 2019 nach Christus in der griechischen Ägäis. Herbstwinde wehen, die Sonne scheint und das Meer schäumt blau. Alles wie immer. Überall in der Ägäis? Nein! Die von unbeugsamen Bewohnern bevölkerte Insel Ikaria hört nicht auf, dem Feind Widerstand zu leisten. Der kleine Kurort Therma im Süden protestiert!

Die Heilquellen von Therma sprudeln seit der Antike und ziehen viele Besucher von nah und fern an.  Daran hat sich bis heute nichts geändert, denn die Quellen sind stark. Doch ach, jetzt fehlt ein letztes Dokument von vielen, die der staatlich bestellte Bürokratix seit Jahren zwecks offizieller Anerkennung der Quellen durch die EU verlangt!  Und so ergreifen die Römer, nee, schlimmer noch, der griechische Staat plötzlich ganz unerwartet drakonische Maßnahmen.  Die Türen des Apollo-Bades werden mitten in der Saison geschlossen und hochoffiziell versiegelt.

Therma ist ein kleines Dorf, der Standard ist „very basic“, nicht zu vergleichen mit Baden-Baden & co. Hier herrscht ein ganz besonderer Charme.  Sitzt man hier auf dem Marktplatz fühlt man sich wie in einem Fellini-Film beim Anblick der in Handtücher vermummten bunten Gestalten, die vom Bad in die Hamam-Höhle, zurück ins Hotel flanieren.  Diese Bäder sind nicht für die Reichen und Schönen geplant, hier kommt das einfache Volk, um die Schmerzen der Arthritis zu lindern, Neurodermitis und Asthma zu heilen. Vor der Tür liegt ein kleiner Strand, an dem pfiffige Omas ihr „Kur-Socialising“ betreiben. Eine watet mit dem Rollator durch das Wasser, es wird geplanscht und andere schwimmen mit dem Sonnenhut auf dem Kopf ihre Bahnen. Die regen Unterhaltungen dabei kreisen von Kochrezepten, über medizinische Tipps bis hin zu Klatsch & Tratsch aller Art. Ein vereinzelter älterer Herr betritt die Szene und ruft fröhlich „Hallo Mädels!“ und ist wie bei allen „Silver-Agers“ auf der ganzen Welt sofort Hahn im Korb. Rund um den Strand herum gibt es einige Konditoreien und Tavernen mit den besten Kuchen und den frischesten Fisch auf der ganzen Insel! Dahinter einige Hotels einfacher bis mittlere Kategorie. Kein Chichi, kein Luxus. Basic.

Und nun das! Kurgäste reisen ab, Reservierungen werden storniert. Der Strand liegt verlassen.  Eine Katastrophe für den ganzen Ort. Und so ruft Majestetix die Bewohner zusammen, um zu beraten, was zu tun ist. Alle leben hier vom Badebetrieb. Der Beschluss ist einstimmig: wir protestieren!  Die staatlichen Siegel an den Türen werden aufgebrochen und der Badebetrieb wieder aufgenommen.  Einige staatlichen Angestellten der Bäder arbeiten unbezahlt weiter, Volontäre unterstützen sie dabei. Der Eintritt ist frei, wer will und kann wirft eine Spende in die Box am Eingang.

Am Abend erzählt Gutemine im Hamam den mitschwitzenden Ladies um sie herum mit erhobenem Zeigefinger, dass sie ganz Asien bereist habe, mehrmals sogar, doch diese Hamam-Höhle hier, die sei einzigartig. Dafür könne man jetzt schon mal 1 Euro in die Box werfen, nicht wahr? Naja, bisschen kleinlich, oder?   Eine ältere Dame im Tanga-Bikini gesellt sich im Hydro-Massage- Becken zu mir und stellt sich sogleich als Madame Mimi vor. Ja, das Baden verbindet! Nachdem geklärt wurde, woher ich komme und warum ich griechisch spreche, erzählt sie mir mit der Stimme eines Generals, dass sie seit 10 Jahren hier zur Kur kommt.  Jeden Tag nimmt sie 3 Bäder! Aufgeregt ordnet sie ihre im Dampf aus der Form geratenen Löckchen. „So gut tun Ihnen die Bäder ?“ erkundige ich mich über das blubbernde Wasser hinweg. „Keine Ahnung!“ schnaubt sie verwundert über so eine komische Frage. „Ja, warum machen sie das dann?“ Die Neugier hat mich gepackt. „Ich bade gerne, Beschwerden habe ich keine!“. Ach. Meine Neugier fällt in sich zusammen, ich hatte etwas dramatischeres erwartet. Doch immerhin! Es stellt sich heraus, dass Madame Mimi stolze 88 Jahre zählt, ich hätte sie auf… na, so Ende 60, Anfang 70 geschätzt. Anti-Aging Wirkung haben die Quellen also auch noch?  Da bleibe ich doch gleich noch 5 Minuten länger im Blubberwasser sitzen.

Seit die Bäder offiziell geschlossen sind, hat sich die Anzahl der Besucher erhöht. Weil es jetzt umsonst ist? Vielleicht. Andere kommen aus Neugier. Und aus Solidarität. Alle warten geduldig auf eine freie Badewanne. Auch Troubadix ist heute aus seinem Bergdorf angereist. Er hat noch nie Angst gehabt, für die gute Sache zu kämpfen berichtet er den Wartenden stolz. Und springt sogleich vom Stuhl auf, um seine Einstellung mit einem fröhlichen Lied zu bekräftigen. Er singt, ja tanzt sogar dazu. Madame Mimi, die gerade zum 2. Bad des Tages erscheint, zieht überraschenderweise eine Flöte aus ihrer Tasche und fällt flugs mit ein. Die Stimmung ist bestens, für Unterhaltung ist gesorgt. Bei Sonnenuntergang treffen sich die pfiffigen Omas vor dem Bad und singen mit viel Herzschmerz die alten Volkslieder. Schön ist das.

Der Herbstwind hat inzwischen eines der aus Bettlaken gefertigten Protest-Banner halb zerrissen. Traurig flattert es über der Apolo Statue vor dem Bad. Einige Materialien, die für den Badebetrieb benötigt werden, gehen zur Neige. Bis Ende Oktober wollen sie noch durchhalten. Dann sieht man weiter.

Klein beigeben werden sie nicht, das ist mal klar. Stur sind sie hier, wenn es um die gerechte Sache geht. Kreativ sowieso.  Hier klauen ja sogar Mäuse Hühnereier! „Das glaube ich nicht!“ lache ich, als ich die Story in der Umkleide höre. „Wie soll das gehen?“ Ein mitleidiger Blick trifft mich von der pfiffigen Oma, die gerade erzählt hatte, dass sie am Morgen 10 frisch gelegte Eier eingesammelt und das Körbchen kurz im Hof deponiert hatte, um bei der Nachbarin einen Kaffee zu trinken. Als sie wiederkam, waren alle Eier weg.  Das waren die Mäuse, das weiß doch jedes Kind! Die eine Maus hält dabei das Ei mit den vier Pfoten fest und rollt sich auf den Rücken. Die andere Maus schleppt sie dann am Schwanz ab. Wo ein Wille ist, da ist eben auch immer ein Weg. Auf dieser Insel sowieso.

Herzliche Grüße
Barbara

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