Und? Liebt ihr euch jetzt noch?

Sonnenuntergang an einem der ersten Frühlingstage. Wir sitzen bei  Bekannten im Garten, freuen uns über die spektakuläre Aussicht von dort aus und stoßen mit einem Glas Ouzo auf unseren ersten erlebten ikarischen Winter an. Ja, wir haben es geschafft und ja, das Leben ist schön, Prost!

Die Freundin unseres Gastgebers ist gerade zu Besuch. Den ganzen Winter konnte sie nicht kommen, denn Ikaria war wie alle Inseln hermetisch abgeriegelt. Das war hart erzählt sie. Will wissen, wie ich den Winter hier erlebt habe. Ich gucke in die Weite und denke an die letzten Monate zurück. Es war zweifellos ein einzigartiges Abenteuer voller funkelnd schöner Momente. Doch was mir jetzt als Erstes einfällt, ist der Wind, der tagelang in allen Tonlagen ums Haus heulte, raunte, brüllte. Den Regen waagrecht zur Tür hineinwehte und uns nicht hinauslassen wollte.  Gewitter, in denen Zeus immer wieder seine Blitze direkt über unsere Köpfen schleuderte. Viele Tage ohne Sonne und somit ohne warmes Wasser.  Die absolute Stille in der Nacht, in der man nur das Weltall atmen hört. Ein Kamin, der ständig gefüttert werden wollte, viel Holz musste dafür rangeschafft, gesägt, gehackt und trocken gehalten werden. Das Heulen des Windrades, das uns an sonnenlosen Tagen mit Strom versorgte, das Rattern des Generators, wenn es auch keinen Wind gab. Kerzenschein, wenn gar nichts ging. Viele Herauforderungen, für die wir kurz oder lang immer gemeistert haben. Und ich so ganz nebenbei lernte, dass man gar nicht so viel braucht wie man als Luxusmaus aus der Stadt glaubt haben zu müssen. Die Glücksgefühle, die jedoch das warme Wasser zu jeder Zeit aus dem neu angeschafften Boiler mit Butangasflasche immer wieder auslöst, hach!!

„Und? Liebt ihr euch jetzt noch?“ hakt sie nach. Ich schaue wohl ziemlich dumm aus der Wäsche, was hat denn die Liebe damit zu tun? „Naja, wenn man so ständig und so eng aufeinader klebt…?“ Ich grinse, ach das meint sie! „Mal mehr, mal weniger!“ rutscht es mir  spontan raus und jetzt lachen wir beide. Klar hat sie recht. Ich liebe unser Projekt-Haus, doch es ist eher klein, da sitzt man sich im Winter schnell mal auf der Pelle. Ohja, das kann bei  aller Liebe ganz schön nervig sein.  Trotz Basics wie ein Kopfhörer für jeden von uns, um zu telefonieren, Musik zu hören usw. Trotz des Luxus, dass ich einen Schreibtisch ganz für mich habe.  Und die Türe  hinter mir schließen kann, wenn ich dort arbeite. Den Partner auch mal sein zu lassen, wenn der seine Ruhe haben will, das war für mich harmoniesüchtiges Wesen anfangs nicht so leicht zu verdauen. „Hilfe, wir haben uns nichts mehr zu sagen! Das ist das Ende der Liebe!“ schlug ich dann ganz die Dramaqueen die Hände über dem Kopf zusammen! Weil der Platz vor dem warmen Kamin keine Türen hat, so habe ich jetzt begriffen, braucht es eben hin & wieder eine symbolische Tür. Ganz undramatisch pragmatisch.

Natürlich sind auch öfters mal heftig die Fetzen geflogen! Es hat gar nicht immer einen großen Anlass dafür gebraucht, da lagen einfach hier oder da die Nerven blank. „Warum können wir das nicht ruhig, sachlich klären, wie anderen Menschen auch?“ haderte ich dann vor mich hin. Weil wir beide nun mal die Temperamentbolzen sind, die wir sind.  Die Liebe mag bei einem Streit zwar mal in die Schräglage geraten, doch gleich zum Untergang verurteilt ist sie dadurch nicht. Ganz im Gegenteil, sie darf gerne auch mal die Richtung ändern und dabei wachsen. Gibt es denn keine Resilienz der Liebe? Doch! Eine Paar-Resilienz? Colle Sache! Bedürfnisse klären und gemeinsam Strategien entwickeln, wie man damit umgehen will, das könnte ein erster Schritt sein. Bedürfnisse ändern sich, also immer wieder nachjustieren.Den anderen überraschen und eingefahrene Mechanism einfach mal weglassen. Eine „Qualitity Time“ einführen. Ein neues Projekt planen. Den Alltag kurz unterbrechen und spontan 3 Takte zur Musik im Radio mittanzen und dann die Wäsche weiter aufhängen. Gemeinsam spazieren gehen, alleine spazieren gehen. Lachen! So wichtig in dieser ver-rückten Zeit. Sich einfach mal in den Arm nehmen und ganz fest halten…

Also ja, wir lieben uns immer noch. Vielleicht weiser nur und bewusster noch, um es mit Reinhard Mey* zu sagen. Ich wünsche euch allen da draußen, die ihr auf beengtem Wohnraum mit Home-Office und Home-Schooling 24h/Tag miteinander klarkommen müsst, dass ihr immer wieder eure ganz persönliche Paar-Resilienz findet, damit die Liebe bleibt, wächst und gedeiht!

Herzliche Grüße
Barbara

*für alle, die das Lied „wie vor Jahr & Tag“ von Reinhard Mey nicht kennen oder gerne wieder hören wollen, hier ist der Link: https://www.youtube.com/watch?v=8zpxqjJMj64

Foto: vielen Dank Pixabay!

 

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