Höher. Schneller. Weiter.

Das Leben nimmt wieder an Fahrt auf! Im Radio sind die Staumeldungen so lang wie vor Corona, das schwedische allseits bekannte Möbelhaus wird,  kaum wieder eröffnet, von den Massen gestürmt und oh ja! Die Friseure! Bis Corona war mir gar nicht klar, wie wichtig uns Deutschen die Frisur ist? Fühlbar direkt nach dem Klopapier! War mir bisher noch gar nicht so aufgefallen… Egal. Schön, dass die Normalität schrittweise wieder Einzug hält! Oder?

Ohne Frage ist die in kleinen Schritten wieder gewonnene Freiheit eine Erleichterung. Doch mich überkommt dabei eine schleichende Melancholie… War die letzten Wochen nicht immer wieder die Rede davon, dass es nach einer solchen Krise nicht so weiter gehen kann wie bisher? Und doch dreht sich schon wieder fast alles um Wirtschaft & Konsum. Oder Fußball. Der Stillstand der letzten Wochen hatte uns kalt erwischt. Einfach mal inne zu halten, nee, das kennen wir gar nicht mehr, nee, das geht gar nicht. Jetzt sind bestimmt 90 % aller deutschen Kleiderschränke ausgemistet und neu sortiert, während die Altkleider Container überlaufen und sich bergeweise Klamotten davor stapeln. Und dann die Renovierungswelle! Was ein Glück, dass die Baumärkte offen hatten.

Der alte Friedhof bei uns um die Ecke zum Glück ebenfalls! Unsere Küche hätte sich über einen frischen Anstrich bestimmt gefreut, doch wir ziehen los, um über den Friedhof zu flanieren. Ehemals ein Weinberg, dann von einem Gartenbau-Architekten in eine parkähnliche Friedhofanlage umgestaltet, die 1844 eröffnet wurde.  Heute rascheln die ehrwürdigen Baumriesen leise weise mit den Blättern im Wind und die Kastanien recken stolz ihre Blütenkerzen in die Sonne. Viele Bänke gibt es. Friedlich ist es. In der Ferne hört man den Verkehr rauschen und es klingt wie aus einer anderen Welt. Alte Grabsteine erzählen ihre Geschichten so spannend wie ein Thriller. Berühmte Persönlichkeiten haben hier ihre letzte Ruhe gefunden, doch neben einem Universitätsprofessor ruht stolz auch der Lokomotivführer mit einem ebenso prächtigen Grabstein. Liebevoll gepflegte Gräber neben den streng ausgerichteten, einige traurig verwahrlost und einsam. Die Menschen, die hier ruhen, haben alle irgendwann gelebt, hatten ihre Sorgen und Ängste, haben gefeiert, geliebt und gelacht. Haben Kriege, Seuchen und wirtschaftliche Katastrophen erlebt. So gesehen ist unsere aktuelle Story gar nicht so neu, wie sie uns erscheint. Das Leben kümmert sich einen Dreck darum, es geht weiter. Will gelebt werden, bis es irgendwann vorbei ist. Die sichtbare Vergänglichkeit an diesem Ort relativiert meine Sorgen um Existenz, Job & das kaputte Knie langsam, doch nachhaltig, eine neue Gelassenheit stellt sich ein. Bis es vorbei ist, will ich leben. Volle Kraft. Jedoch nicht mehr immer höher, schneller und weiter. Sondern gerne auch mal langsamer, bewusster, menschlicher.

Nicht jeder hat einen Friedhof um die Ecke oder möchte dort flanieren. Innehalten jedoch geht überall:  HAAAAAHHHH, tief durchatmen und den Boden unter den Füßen bewusst wahrnehmen.  Die Straßenbahn vorbei rattern hören. Den Staubpartikeln im Sonnenstrahl beim Tanzen zusehen. Den Regen riechen. Bei sich selbst ankommen und sei es nur für einen kleinen Moment. Kann man einfach mal so zwischen zwei Zoom Meetings im Home-Office machen. Funktioniert wunderbar auch ganz ohne App.

Herzliche Grüße
Barbara

 

Bild von Pexels auf Pixabay

 

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