„Lilli reloaded“
ALL-EIN-SEIN Nr. 3
Ist es tatsächlich schon wieder ein Jahr her, dass ich mich mit den „Fantastischen 4“ zum Kick-off Meeting für das „Solidar Netzwerk – Lebensformen im Alter“ getroffen hatte? Hui, wie die Zeit fliegt! Im 2. Halbjahr 2019 war es ruhig, ab und an telefoniere ich mit Magdalena, die mich auf dem Laufenden hält. Auch Einladungen zu gemeinsamen Unternehmungen gab es, doch irgendwie passte es nie.
Doch ein neues Jahr, ein neues Glück – im Januar wird spontan zum Kaffeetreff geladen und spontan sage ich zu. Freue mich auf das Wiedersehen! Ganz neugierig bin ich auf die beiden neuen Netzwerkerinnen, denn aus den „Fantastischen 4“ sind derweil die „Fantastischen 6“ geworden. Als wir es uns dann alle um den liebevoll gedeckten Kaffeetisch herum gemütlich gemacht haben, ist das auch meine erste Frage „Seid ihr denn zufrieden mit dem Wachstum des Netzwerkes oder wünscht ihr euch mehr und schneller neue Mitglieder?“ „Nein!“ lautet die klare Antwort „Es geht nicht darum, dass wir schnell wachsen, sondern darum, dass wir die Frauen kennen. Auch, dass sie zu uns passen. Nur so können wir eine authentische Verbindung aufbauen“. Yep, das klingt logisch.
Das Gespräch plätschert dahin, während wir glücklich den leckeren Apfelkuchen mit Sahne genießen. Die Frage nach dem Tun des Netzwerkes taucht auf. Was erwarten denn die Neuen? Und wurden die Erwartungen der anderen im vergangenen Jahr erfüllt? Hat sich etwas verändert? Wohnraum ist nach wie vor ein großes Thema. Doch leider ist der diesbezüglich so vielversprechende „Immobilien-Hai“ sang- und klanglos abgetaucht. Schade! Unsere Gastgeberin war im letzten Jahr sehr krank, wie hat sich das Netzwerk da bewährt? Wer konnte kam und half. Kaufte ein, kochte, wischte auch mal die Küche durch. Ehrensache. Doch viel wichtiger, so stellt sich schnell heraus, ist der Wissensaustausch zu Themen rund um Pflegestufen, Grundsicherung, Wege durch den deutschen Behördendschungel.
Ganz plötzlich geht es dann ans Eingemachte: „Ich wünsche mir nur, dass ihr mich besuchen kommt, wenn ich dement im Altersheim bin!“ Alle schlucken kurz. Auch ich. Denke an das Bild, dass sich mir bei den Besuchen meiner Mutter im Seniorenheim bietet. Alte Menschen, die alleine mit hängenden Köpfen, jeder für sich, im Aufenthaltsraum sitzen. Meine Mama, die immer wieder vergisst, wie die Klingel funktioniert, wenn sie etwas braucht. Warten muss, bis jemand kommt. Viel zu wenige Pflegekräfte. Und der ganz besondere Geruch in diesen Häusern, der sich wie ein klebriger Schleier um die Seele legt. Vielleicht das schlechte Gewissen? Einige Tage später lese ich in der ZEIT*** über „Xiao“ – die Demut gegenüber den Alten. Auf ihr beruht die Ethik des Konfuzius. Ehrensache, dass die Eltern von den Kindern daheim gepflegt werden. Heute jedoch nicht mehr möglich, denn die ein-Kind-Politik macht sich bemerkbar: zu wenige Junge, um der explodierenden Zahl der Senioren gerecht werden zu können. 60 Stunden Arbeitswochen. Wie soll man da die Eltern pflegen? Extrem lange Wartelisten für die wenigen Altersheime. Ist es bei uns denn so viel anders? Auch ich kann meine Mutter nicht full-time pflegen. Mein Kopf weiß das, doch das Herz schmerzt.
Zurück zur Kaffeetafel! Das Eis ist gebrochen. Die Angst vor Vereinsamung im Alter kommt zur Sprache. Einige haben keine Kinder, bei den anderen wohnen sie weit weg. „Ich möchte mein Leben selbstbestimmt beenden können, wenn die Zeit kommt“ Der Satz steht plötzlich im Raum und löst Betroffenheit aus. Mal ganz abgesehen von moralischen Überlegungen & Bedenken: gar nicht so einfach, da den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. So lange es irgendwie geht, hält man am Leben fest. Und dann ist auf einmal zu spät. Die Demenz kommt nicht immer schleichend, sondern manchmal ganz brutal fast über Nacht. Ein Sturz, ein gebrochenes Bein und man kommt aus der Klinik nicht mehr nach Hause, sondern ins Pflegeheim. Eine hat das Pflegeheim schon ausgesucht, in das sie gehen will, wenn die Zeit kommt. Aber jetzt schon? Niemals!
Nachdenklich fahre ich nach Hause. Mutige Frauen sind das, diese „Fantastischen 6“. Mit denen ich auch immer ganz wunderbar lachen kann. Wieder einmal bin ich froh, dass sich unsere Wege gekreuzt haben. Schade nur, dass Lilli heute nicht dabei sein konnte, das hätte ihr bestimmt gefallen.
Herzliche Grüße
Barbara
*** „Die Gesandte des Konfuzius“, „DIE ZEIT“ Nr. 3, 9. Januar 2020
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