Voll entschleunigt
Als ich gegen Ende September nach Ikaria reise, freue ich mich auf das spätsommerliche Badevergnügen im Meer und die goldene Herbstsonne, die die ganze Inselwelt magisch leuchten lässt – kurzum, auf einen sonnigen Sommerausklang. Doch es kommt anders, denn der Zyklon Zorbas fegt über Griechenland hinweg.
Wir hatten Glück und bekamen nur einige Ausläufer davon ab, doch der Sommer ist schlagartig vorbei. Viele Wolken wechseln sich seitdem mit der Sonne ab, die Abende sind kühl, die letzten Touristen abgereist und die Insel fällt in den Winterschlaf. Restaurants öffnen nur noch zum Wochenende, die Fähre aus Athen verkehrt nicht mehr täglich und die Supermärkte bieten das an, was die Inselbewohner kaufen. Hippe Jogurth-Sorten, Cola Zero und andere „Exoten“ verschwinden aus den Regalen.
Das Inselleben entschleunigt sich und die Welt wird still. Manchmal wache ich nachts von dieser absoluten Stille auf, die so ungewohnt für mich Stadtmensch ist. Die Eule, die am Abend vor der Tür gerufen hat, schweigt jetzt und auch der Wind schläft. Fast kann man das Universum hören in dieser Stille, ein Wahnsinn.
Morgens schweben dramatische Wolkenschichten über die Insel, hüllen alles in Watte und geben mir beim Morgenkaffee das Gefühl mich unverhofft auf Avalon wiederzufinden. Der Wetterbericht für die Insel kündigt täglich einen wolkenlosen Tag mit Sonnenschein von morgens bis abends an! Verwundert überlege ich, wo die Menschen, die das vermelden, aus dem Fenster geschaut haben? Auf der anderen Inselseite, so erfahre ich später, denn auf der Südseite scheint die Sonne im Winter viel öfters als bei uns auf der Nordseite, wo sie von den Wolken, die sich über dem Gebirge in der Inselmitte bilden, gerne mal versteckt wird. Wenn sie jedoch gegen Mittag erscheint, ist es wunderbar!
Manchmal jedoch nicht ganz ausreichend genug für die Solaranlage, mit der unser Haushalt funktioniert. Da es an vielen Tagen zudem windstill ist, produziert das Windrad natürlich auch keinen Strom und so heißt es Prioritäten setzen. Was im Sommer so selbstverständlich ist – die Waschmaschine laufen lassen, mal schnell durchsaugen oder abends den Fernseher einschalten, das will nun alles überlegt sein, damit die Basisversorgung von Licht, Kühlschrank und Handy laden gewährleistet ist. Zum Glück braucht mein Kindle nicht viel Strom!
Entschleunigung kann ganz schön irritierend sein, wenn sie uns so ungeplant aus dem gewohnten Trott rausholt! Man kann jedoch ein T-Shirt tatsächlich auch mal 2 Tage tragen ohne dass die Welt untergeht, anstelle des Staubsaugers einen Wischmopp benutzen und Cola Zero bestens durch Salbeitee ersetzen. Ja, man kann sogar mal nicht erreichbar sein, wenn das WLAN aussetzt, ist das nicht ganz unglaublich?
Entschleunigung geschieht schrittweise, so wird mir in diesen Tagen klar. Denn kaum fühle mich voller Stolz schon ganz entschleunigt, baut sich eine neue Anspannung auf, uff! Dann gehe ich gerne den Hof kehren, denn das erinnert mich an ein japanisches Zen-Kloster, von ich mal gelesen habe. Dort werden die Novizen täglich zum Boden kehren in den Wald geschickt, um so zu lernen, dass nichts bleibt, wie es ist und alles vergänglich ist. Der Feigenbaum im Hof wirft derzeit so viele Blätter ab wie ein ganzer Wald, ich darf mich also üben…
Oder der kleine Kater steht plötzlich laut maunzend neben mir, will gefüttert, bauchgekrault, bespielt werden und bringt mich damit ratzfatz ins hier & jetzt, denn etwas anderes kennt er nicht. Beneidenswert!
Entschleunigung bedeutet offensichtlich auch Flexibilität in allen Lebenslagen? Ich hatte gestern gerade begonnen diesen Blog zu schreiben, voll entschleunigt versteht sich, da setzte unser Solarsystem plötzlich ganz aus. Afantos, der Elektromeister unseres Vertrauens, kam bei einem solchen Notfall schon nach dem 3. Anruf kurz vor Sonnenuntergang! Der Generator wurde mit viel Getöse angeschmissen, um die Batterien zu laden, der Strom abgeschaltet, Kerzen und Taschenlampen beleuchteten die Szenerie, bis gegen 22 Uhr alle Lichter und der Staubsauger (von der Wattzahl unser stärkstes Haushaltsgerät) gleichzeitig angeschaltet wurden, um das Entladeverhalten der Batterien zu beobachten, ich die Chance nutzte, um gleich mal schnell durchzusagen, während der Kater vor Aufregung laut miauend zwischen allen Füßen umhersauste – ein Irrenhaus! So skurril, dass ich irgendwann nur noch laut lachte. Und die wiedereinsetzende Stille gegen zwei Uhr nachts unendlich genossen habe…
Bis zum nächsten Blog wünsche ich euch entschleunigte Tage!
Herzliche Grüße
Barbara
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